21. August 2012

Mein Abschlussbericht - Ein Jahr Bolivien so schnell vorbei


Meine letzten beiden Monate in Sucre beginnen ereignisreich Anfang Juni mit dem sogenannten Ökologietreffen. Jährlich findet in Sucre ein großes Ökologietreffen statt, das von uns, dem Ökomuseum, veranstaltet wird. In diesem Jahr findet das Treffen vom 31. Mai bis zum 8. Juni unter dem Motto „Nachhaltige Energien für alle“ statt, denn das Jahr 2012 ist das „Internationale Jahr der nachhaltigen Energien für alle“.

Bei einem Protestmarsch gegen Müllverbrennungen zu hause


Dieses Treffen startet mit einer großen Kampagne am Weltnichtrauchertag,an dem wir Rauchern im Austausch für das Ausmachen einer Zigarette eine Topfpflanze schenkten. Am Folgetag wird dann das Ökologietreffen ganz offiziell mit der Vorführung mehrerer ökologischer Videos zur Erinnerung an das „Internationale Jahr der nachhaltigen Energien für alle“ und der mobilen Recycling- und Nachhaltigkeitsausstellung des Museums eröffnet. Am Samstagabend folgt dann für mich das absolute Highlight: das Theater der Blinden, für dessen Durchführung ich hauptverantwortlich bin. Diese eher spezielle Theaterform verlangte von den Besuchern, sich komplett auf ihre „Blindenführer“ (die Freiwilligen des Museums) zu verlassen. Zunächst werden den Besuchern die Augen verbunden und sie hören in nun kompletter Dunkelheit eine Geschichte: ein Großvater erzählt seiner Enkeltochter von seiner Zeit auf dem Land. Den Verlauf der Geschichte bekommen die Besucher am eigenen Leib zu spüren: mit Gerüchen, Wind, Regenschauern und anderen „Fühleffekten“. Das ist nicht nur für die Besucher eine eindrucksvolle (Natur-)Erfahrung, sondern macht auch uns, dem Freiwilligenteam, besonders viel Spaß.
Am Sonntag folgt dann die Ökologische Schnitzeljagd unter dem Titel „Die Erde lebt, wander für deine Umwelt“, bei der zahlreiche Teilnehmer in einem leicht bergigen Gebiet etwas außerhalb der Stadt eine ca. 5 Km lange Wanderroute gehen, wo ihnen an zahlreichen Stationen Fragen und Aufgaben von den Freiwilligen des Ökomuseums gestellt werden. Desweiteren folgen zahlreiche andere Workshops, Diskussionsforen, Märsche und Vorträge.
Bei diesen vielen Aktivitäten mit dabei zu sein bereitet mir viel Freude, denn es ist schön zu sehen, wie das Museum unter so viel öffentlicher Aufmerksamkeit förmlich aufblüht. Für mich ist es auch eine Möglichkeit zu erkennen, wie sehr ich an und in diesem Projekt gewachsen bin und wie sehr ich mich selbst einbringen kann.
In der Zeit nach dem Ökologietreffen wird es dann wieder ruhiger ums Museum, wobei ich einige Besuche der aus Deutschland geförderten „Pestalozzi“-Schule organisiere. Ich bereite eine Rallye durch das Institut vor, bei dem die Schülerklassen Antworten auf von mir gestellte Fragen mithilfe der im Institut ausgestellten konsumkritischen Ausstellung finden müssen.

Anfang Juli beginnen dann meine letzten „bolivianischen“ Ferien, in denen ich mal wieder entspannen kann, aber auch erste Einkäufe für meine Reise und die Zeit nach Bolivien in aller Seelenruhe erledige. Die größte Anschaffung ist dabei ein großer Koffer, die kleinste die vielen kleinen Mitbringsel für Familie und Freunde.

Das Abschiednehmen von meinem "neuen" Leben fällt mir schwer

Nach Ende der Ferien merke ich, dass meine Rückkehr nach Deutschland immer näher rückt.
Ybeth, die Direktorin des Instituts und damit meine Chefin, sowie die weiteren Mitarbeiter bereiten mir eine erste Abschiedsfeier mit Lagerfeuer und Glühwein im Innenhof des Instituts. Es folgt eine weitere harte Arbeitswoche mit einem wahren Abschiedsmarathon: ich verabschiede mich von einigen Freunden einzeln, von meiner Gastfamilie, dem Freiwilligenteam, meiner Tangogruppe und den „Masis“. Alles muss unter einen Hut gebracht werden. So viele Abschiedsfeiern in so kurzer Zeit ermüden mich ziemlich und machen mich gleichzeitig aber glücklich, weil es schön und wichtig für mich ist, mich bewusst von den Menschen zu verabschieden, die mir so sehr ins Herz gewachsen sind in diesem Jahr. Ich komme wenig zu Atem und kann dem Abschiedsschmerz damit kaum Raum lassen.

Nico und ich am Flughafen in Sucre

Nachdem beinahe alle Abschiede überstanden sind, erfolgt am Dienstag, dem 7. August der letzte von meiner Gastmutter Gaby und meinem Gastbruder Nico am Sucrenser Flughafen. Ich habe beide, aber insbesondere den kleinen Kerl sehr lieb gewonnen, sodass mir der Abschied schwer fällt.
Es folgt eine problemlose, aber sehr lange Reise. Nach dem Inlandsflug von Sucre nach Santa Cruz kommen Daria, Selma und ich Freitagnacht über die Zwischenstationen Asunción (Paraguay), Sao Paolo (Brasilien) und Paris endlich in Frankfurt an. Ich bin froh wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, denn meiner Ansicht nach sind wir Menschen zum Fliegen eigentlich nicht gemacht und Flugzeuge werden mir wohl immer suspekt bleiben. Am Flughafen werde ich dann sehr liebevoll und mit offenen Armen von meiner Familie empfangen.

Während ich nun diese Zeilen schreibe, ist schon etwas mehr als eine Woche vergangen, seit ich wieder nach Deutschland zurückgekehrt bin, und ich habe das Gefühl noch immer nicht ganz „hier“ zu sein. Ein Freund in Bolivien hat mir zum Abschied gesagt: „Der Körper fliegt schnell zurück, es ist die Seele die länger braucht“. Und wenn ich mich in unserem Garten umschaue und sehe all das Grün, die hohen Bäume, die gepflegten Häuser der Nachbarschaft, die makellos geteerten Straßen, und tief in mir drin spüre ich ein ganz leichtes Stechen, dann merke ich dass meine Seele wohl noch etwas brauchen wird, um vollends hier wieder anzukommen.

Zuallerletzt bleibt mir nur noch mich bei euch allen, liebe Unterstützer, Förderer und geduldige Leser für euer Interesse und eure Begleitung zu bedanken. Oft haben mir schon kleine Zeichen von euch Mut gemacht und mich unterstützt. Vielen Dank! Mit eurer Hilfe habe ich ein Jahr in Bolivien erlebt, das eine ungeheure Wirkungskraft auf mich ausübt und mit dem ich Erfahrungen gesammelt habe, die sehr wertvoll für mich sind. Ich wünsche euch für die Zukunft nur das Beste und verabschiede mich mit der Hoffnung, auch weiterhin von euch zu hören. Hasta pronto!

18. Mai 2012

Bericht im Mai über die vergangenen vier Monate

Einen Bericht zu schreiben ist nie leicht. Aber dieses Mal fällt es mir besonders schwer. Wie soll ich diese glitzernde, schillernde und formlose Erinnerungswolke über meinem Kopf in einen kompakten Text in zeitlich-logischer Reihenfolge packen? Ein Versuch:

Im Januar nach den Ferien kommt bei meiner Arbeit alles zunächst nur schleppend wieder in Gang. Die Schulen und Kindergärten sortieren sich nur sehr langsam, und es gibt daher im Museum so gut wie keine Besuche. Ich bin frustriert, dass ich mit den Ecochiquis nicht anfangen kann.

Dafür geht es mir in meiner freien Zeit besser als je zuvor. Gaby und Nico kommen nach ihrem zweimonatigen Aufenthalt aus Deutschland zurück, beladen mit Fotos und vielen Geschichten. Und dann gibt es da noch das große Konzert der Masis im Teatro Gran Mariscal, wo die Masis mit ihrer Kindergruppe mit Musik, Tanz und Trachten verzaubern.

Außerdem fange ich Anfang Februar an Tango zu tanzen, im ICBA. Ich verliebe mich halsüberkopf in die melancholische Musik und die Bewegungen. Das Tanzen gibt mir als Ausgleich zu der stark beanspruchenden Arbeit Halt und stärkt mein Selbstwertgefühl. Langsam wachse ich in die Tanzgruppe hinein und finde unglaublich liebenswerte Freunde, die mich für bisher unbekannte Musik, Literatur und Gespräche begeistern. Es folgen unzählige Milonganächte – mit Tango durchtanzt und von Rotwein und einem starken Gemeinschaftsgefühl gesüßt.

Eine Unterbrechung meines Alltags und wichtiger Bestandteil meines Freiwilligendienstes steht Mitte Februar auf dem Programm: die Zwischenauswertung durch meine Entsendeorganisation. Ich lerne Susanna Kersting-Kuhn kennen, die die Auswertung sehr professionell und sehr angenehm zugleich durchführt. Ich hoffe auf neue Impulse für meinen Freiwilligendienst.

Wenig später erreicht mich die Nachricht, dass es in meinem Projekt zunächst keinen Nachfolger geben wird. Obwohl ich mich im ersten Moment hilflos und unglücklich mit dieser Entscheidung der Bolivien-Brücke fühle, kann ich sie nach mehreren intensiven Gesprächen mit meiner Gastmutter nachvollziehen, denn: es kann nicht Aufgabe eines Freiwilligen sein, sein Projekt zu leiten.

Ende Februar dann ein Ausflug der Extraklasse: in Oruro erlebe ich mit Daria und Selma einen sagenhaften Karneval, der mich mit unglaublich vielen Bildern und unglaublich durchnässt zurücklässt. Oruro selbst wirkt auf mich wie ein riesiges Dorf in recht feindlicher Landschaft. Trotzdem scheint auf den Straßen vor uns die Lebensfreude in Tänzen für die Virgen de Socavon* zu explodieren. Was für ein Ausnahmezustand! *(Jungfrau Maria vom Stolleneingang)

Zurück in Sucre, folgt gleich die nächste Feier. Gemeinsam mit meinen beiden Freundinnen María und Rocío bin ich Gast einer Hochzeit. Die Hochzeit dauert zwei Tage: Am ersten Tag abends findet die Trauung statt, an die sich eine große Feier anschließt. Für jeden „Bestandteil“ der Feier gibt es eine eigene Patin oder einen eigenen Paten. Zum Beispiel Paten der Hochzeitstorte, der Musik, der Getränke, der Videokamera, des Tanzes, und, und, und. Am zweiten Tag werden die Geschenke überreicht, das Brautpaar bekommt die komplette Inneneinrichtung für ihre neue Wohnung geschenkt. Immer wieder wird das Brautpaar während der Feierlichkeiten gesegnet: mit Alkohol und Konfetti.

Nachdem der Kater des Karnevals endlich überwunden ist, lege ich bei meiner Arbeit wieder richtig los. Beinahe jeden Nachmittag eilen José Luis und ich zu nahe und fern gelegenen Schulen und laden die Lehrer ein, das Museum zu besuchen. Zunächst ist die Resonanz nicht groß, doch schon bald können wir uns vor Besuchen kaum retten. Ein Colegio schickt sogar die komplette Schülerschar.

Gleichzeitig läuft das Kindergartenprojekt immer noch nicht gut an. Ich bin frustriert, dass meine Termine mit der Direktion des Kindergartens wieder und wieder platzen.

In den folgenden Wochen konzentriere ich mich besonders auf meine Arbeit, während Tango nebenher läuft und ich auch damit anfange Gitarre zu spielen – allerdings bringen die Unterrichtsstunden in einer privaten Musikschule wenig. Ich gehe nur unregelmäßig zum Unterricht.

Je näher das Ende des Monats März rückt, desto ungeduldiger werde ich. Am 23. März hole ich meine Schwester Franzi am Flughafen in Santa Cruz ab. Die vergangenen Monate scheinen wie ausgelöscht, ich bin einfach nur glücklich.

In den folgenden drei Wochen reisen wir nach Sucre, Oruro, La Paz, zum Titicacasee und Tiwanaku, wir wandern nach Coroico und schließlich verabschieden wir uns am 14. April in Santa Cruz am Flughafen. Die drei Wochen der Reise haben mir Vieles gezeigt: wie vielfältig und unentdeckt Bolivien immer noch für mich ist, wie anstrengend es sein kann, ruhelos umherzuziehen und nirgendwo richtig Wurzeln schlagen zu können, wie wunderschön und wichtig es ist, Zeit mit meiner Schwester zu verbringen, wie schwer die Last der Verantwortung für zwei sein kann. All das vermischt sich mit so vielen Einzelerinnerungsfetzen zu einer unvergesslichen Reise.

Als ich wieder zurück nach Sucre komme, bin ich leicht neben der Spur. Die Rückkehr nach Deutschland scheint durch den Besuch meiner Schwester in mein absolutes Bewusstsein gerückt zu sein, gleichzeitig klammere ich mich an jedes neue Erlebnis in Bolivien. Eines davon ist eine kleine „Willkommen-zurück-Überraschungsparty“, die die Freiwilligen für mich veranstalten. Mit selbst gebackenem Kuchen und selbstgemachter Limonade. In diesem Moment denke ich: Das ist mein Platz, nirgendwo würde ich lieber sein.

Doch es erwartet mich auch eine Enttäuschung: im Museum ist in meiner Abwesenheit nicht viel passiert. Verabredungen wurden nicht eingehalten, die Freiwilligen waren wenig motiviert. Damit habe ich bis jetzt zu kämpfen. Noch immer kommen die Freiwilligen sehr unregelmäßig, die Aktivitäten des Museums kommen beinahe nicht zustande. Das lähmt und ängstigt mich zugleich, wogegen ich kaum angehen kann. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass ich nur noch drei Monate hier habe und diese genießen will. Auch wenn einiges nicht optimal läuft, bin ich doch glücklich. Trotz allem fesselt mich meine Arbeit sehr, ich lerne so viele wunderbare Menschen (besser) kennen, ich habe die Freiheit Dingen nachzugehen, die mich sehr erfüllen (das Gitarrespielen klappt jetzt in einer staatlichen Schule eindeutig besser).

Ich fühle mich geborgen und aus dieser unumstößlichen Wahrheit heraus möchte ich nun die Gelegenheit ergreifen, euch lieben Interessierten und Unterstützern, meinen Dank auszusprechen.

Danke, dass ihr mir das hier ermöglicht mit eurer Ermunterung, eurer Begleitung und Förderung. Ich sende euch die besten Wünsche und Grüße aus Sucre, wo der Wind mittlerweile kalt durch die Straßen fegt und die Sonne einen trotzdem verbrennt. Es wird Winter.

18. April 2012

Los Masis - Musikalische Projektreise 2012

Nur ein kurzer Blogeintrag für alle Bolivienbegeisterten und diejenigen, die es nach einem Masiskonzert bestimmt sein werden:

Hier kannst du dich informieren, wann die Masis in deiner Gegend sind und dich mit ihrer Musik verzaubern werden.


Viel Spaß beim Konzertbesuch oder in der Messe!

23. Februar 2012

Carnaval de Oruro - Karneval in Oruro

Diablada
(Engel, Teufel und Bären)

Wer hätte das gedacht: dass ich dem Fest Karneval doch noch etwas abgewinnen könnte. In der Eifel habe ich mich regelrecht dagegen gesträubt dieses Volksfest zu feiern: eindeutig zu viel Bier, zu viel Gelalle und komische Kostüme.

Klar hab ich mich als Kind über die Süßigkeiten vom Rosenmontagszug gefreut, aber das hieß ja auch nur, dass es dann die darauf folgenden 40 Tage nichts Süßes mehr geben würde.

Caporales in Aktion

Doch hier in Bolivien habe ich das Fest zum ersten Mal richtig schätzen gelernt, auch wenn die Karnevalszeit erstmal gar nicht angenehm begann. Schon im Januar fingen die Jugendlichen an, sich gegenseitig zu bespritzen und mit Wasserbomben zu bewerfen. Wenig witzig!

Zum Karneval selber sind dann aber Daria und ich aus Sucre geflüchtet und haben uns mit Selma und Tes in Oruro getroffen, um dort das absolute Highlight zu erleben.

Noch am Freitag besichtigten wir das orurenische Anthropolgiemuseum, die Kirche und eine ehemalige Mine. Und ab Samstagmorgen ging es dann richtig los: bei strahlendem Sonnenschein und auf unseren Plätzen zusammengekauert (in der ständigen Angst mit Schaum eingesprüht zu werden, der in Oruro beliebter schien als Wasserbomben) genossen wir den wunderbaren Festumzug.

Caporales
Da waren Morenadas, Caporales, Tinkus, Llameradas, Diabladas, Tobas, Sayas und Waca Wacas. Eine solche Vielzahl an Farben, Rhythmen und Bewegungen, die ich noch nie gesehen hatte, hat mich sehr fasziniert.

Die hochgeladenen Fotos von den Tänzen fangen das Erlebte nur ansatzweise ein.

Tobas

Tinku
Wer sich im Internet zu den Tänzen weiter informieren will, wird bei Google fündig. Auch diese Wikipediaseite hilft ein bisschen weiter: Bolivianische Tänze.

26. Januar 2012

Unbedingt sehenswert: „También la lluvia“ / „Und dann der Regen“

Beim „Kolping-Kino“, also bei unserem Filmeabend auf dem Zwischenseminar in Santa Cruz, haben wir den Film „También la lluvia“ gesehen und anschließend eine kurze Filmdiskussion geführt.

Der Film spielt in Cochabamba im Jahr 2000, als dort der sogenannte „Wasserkrieg“ ausgebrochen ist, und thematisiert gleichzeitig die Kolonialisierung durch Columbus. Außerdem entfaltet er auf faszinierende Art und Weise die Problematik der Postkolonialisierung sogenannter Entwicklungsländer. Zwar wirkt die Handlung an manchen Stellen stark dramatisiert, es ist jedoch spannend zu sehen, wie sich die verschiedenen Handelsebenen übereinander legen und ein komplexes Gesamtbild erzeugen, das zum Nachdenken anregt.

In Deutschland ist der Film offensichtlich am 29. Dezember in die Kinos gekommen. Die offizielle deutsche Internetseite findet ihr unter http://www.und-dann-der-regen.de/.

Und eine ganz knappe Kritik, die aber einen guten Eindruck vermittelt, hier: http://www.kino.de/kinofilm/und-dann-der-regen/123264.


Viel Spaß damit!

19. Januar 2012

5 Monate Bolivien - mein dritter Bericht

Auf dem Zwischenseminar trifft es mich wie ein Schlag, als eine unserer Begleiterinnen sagt „Jetzt ist Halbzeit“. Nein, das kann doch noch nicht sein! Ich möchte noch so viel sehen, hören, schmecken, kennenlernen, vertiefen. Mein Kindergartenprojekt weiterführen. Mit meinen Freiwilligen arbeiten. Das Museum verschönern. Einfach hier sein. Wie soll das in sechs Monate passen? Zum Glück kommt bald die rettende Erkenntnis: für uns Bolivien-Brücke-Freiwillige sind es noch siebeneinhalb Monate. Das ist natürlich was anderes.

Workshop Monteagudo

Aber fangen wir von vorne an. Die Zeit, die seit meinem letzten Bericht vergangen ist, beginnt in einer schaukelnden Flota (Bus) auf dem Weg in das wunderschön grüne und beschauliche Städtchen Monteagudo, benannt nach dem großen Monteagudo selbst. In der Flota befinden sich unter anderem Raúl Navarro, José Luis Macias und ich. In Monteagudo geben wir einen Workshop zum Thema „Der richtige Umgang mit Müll“. Von den angekündigten zwanzig Teilnehmern ist nur die Hälfte anwesend, macht aber nichts, wir arbeiten mit denen, die interessiert sind. Der Workshop kommt gut an, und wir haben noch ein bisschen Zeit, uns in der Stadt herumzutreiben. Es tut gut, noch mal aus Sucre rauszukommen, merke ich – das frühlinghafte Grün überall und die warme Sonne streicheln meine Seele.

Zurück in Sucre gibt es erstmal ordentlich Gewitter. Ständig. Unglaubliche Mengen Tränen weint der Himmel. Fluten. Danach der Geruch nach wachsenden Pflanzen und Erde. Auch in Sucre ist Frühling und der Sommer naht.

Und mit dem Sommer naht auch die Weihnachtszeit. Das hat einen traurigen Nebeneffekt: Gaby und Nico fliegen für zwei Monate nach Deutschland, um dort Zeit mit Gabys Familie zu verbringen. Nico möchte Schnee sehen. Der Abschied am Flughafen Sucres fällt uns allen schwer und zurück bleiben Jorge, der Kater Tomi und ich.


Viel Zeit zuhause bin ich jedoch zunächst nicht. Die R.O.A.CH. veranstaltet ihr erstes Encuentro ein Wochenende lang in Cajamarca, einem Dorf ungefähr eine Stunde Busfahrt von Sucre entfernt. Ich habe als Sekretärin der Roach viel Schreibarbeit, was mir aber nichts ausmacht. Zusammen spazieren wir zum nahegelegenen Fluss und wieder merke ich, wie viel es mich auch kostet in einer Stadt zu leben. Zuhause in Deutschland war der Nationalpark ganz selbstverständlich da, die Natur als Ausgleich immer zur Verfügung. Hier brauche ich nun diese Oasen, das Verlassen der Stadt.

ADVENT in Sucre. Für meine Freiwilligen bastle ich einen Adventskalender mit kleinen Schokoladen, Tee, Adventsschmuck, Kerzen und Bildern. Das ist für die Freiwilligen etwas ganz Neues, sie finden die Idee aber toll. Gleichzeitig fängt das Freiwilligenteam FASE I an, Produkte für den Weihnachtsmarkt des ICBAs zu erarbeiten. Gemeinsam basteln wir an Karten, Weihnachtskugeln und Sternen, dazu kommen Gläser und CD-Schmuck; alles natürlich recycelt.

Doch bevor dann der Weihnachtsmarkt ansteht verbringt das Freiwilligenteam noch einen wunderbaren Sonntag in Yotala im Schwimmbad und auf dem Fussballplatz. Es ist wahnsinnig befreiend Spaß miteinander zu haben und – mal wieder – aus der Stadt rauszukommen.

Zusammen Spaß haben und Zeit miteinander verbringen in Yotala

Am 15. Dezember dann sehr kurzfristig noch ein sehr schönes Erlebnis: eine kleine Diablada-Weihnachtsfeier. In kleiner Runde schauen wir uns ein paar Videos unserer Entrada an, essen zusammen und danach spielen die Masis und es wird viel getanzt. Ich bin glücklich wie lange nicht mehr.

Von rechts nach links: Moni, Rocio, Randall, José Luis und ich auf dem Weihnachtsmarkt des ICBA

Zu arbeiten gilt es dann zunächst auf dem Weihnachtsmarkt, der eine schöne Gelegenheit bietet, uns als Museum zu präsentieren und Werbung zu machen. Den ganzen Tag alleine am Stand zu sitzen kann jedoch manchmal auch ganz schön langweilig werden und so bin ich dankbar und froh, dass Rocio mir oft Gesellschaft leistet. Unsere Freundschaft entwickelt sich schon bald zu einem wichtigen Anker für mich: sie versucht mir ein bisschen Quechua beizubringen, während ich ihr mit ihrem Deutsch weiterhelfe; wir haben viel Spaß zusammen und nach der Arbeit gehen wir gemeinsam über die strahlend leuchtende Plaza zu unseren Micros.

WEIHNACHTEN in Sucre. Weihnachten beginnt für mich schon einen Tag vorher, am 23. Dezember um genau zu sein. Als es nämlich am 23. Abend wird, steht die Clausura des Weihnachtsmarktes an. Und für diesen festlichen Abschluss kommen die Masis mit den Kindern und machen im Hof Musik und tanzen. Da spüre ich zum allerersten Mal Weihnachten, auch im Sommer. Daria und ich schmettern zusammen ein deutschsprachiges getragenes Weihnachtslied, das in spannungsvollem Kontrast zur heiteren und rhythmischen bolivianischen Weihnachtsmusik steht. Und danach wird noch ein bisschen durch die Straßen getanzt und gespielt.

Die Masis mit den Kindern des Centro Cultural Masis im ICBA

Am nächsten Morgen dann mache ich mich morgens auf den Weg zum größten Theater der Stadt, denn dort werden im Eingangsbereich die Masis nochmal spielen und tanzen. Die Straßen sind überfüllt von Familien vom Land, deren Kinder von einigen großen Firmen mit Spielzeug beschenkt werden. Überall ist Müll, Kinder urinieren in den Straßen und es ist wahnsinnig heiß. Viele der Familien müssen stundenlang anstehen, denn die Schlange geht weit über eine Cuadra (Häuserblock) hinaus.

Später dann mache ich mit klopfendem Herzen nach einem Monat Wartezeit endlich das Weihnachtspaket von meiner Familie aus Deutschland auf und freue mich wahnsinnig über die Teelichter, die wir genauso auch zuhause in Deutschland aufstellen. Beim anschließenden langen Weihnachtstelefonat freue ich mich die Stimmen meiner Familie zu hören und vermisse sie alle das erste Mal schmerzlich.

Doch Zeit um Trübsal zu blasen bleibt mir keine, denn abends geht es zum weihnachtlichen Festschmaus bei Jorges Schwester Wilma. Die knallbunten fiependen Lichterketten begeistern mich wenig, dafür aber die Krippe und die Ehrfurcht, mit der für das Jesuskind getanzt wird. Im Grunde ähnelt die Krippe natürlich der Krippe, die ich aus Deutschland kenne, allerdings mit dem Unterschied, dass noch viel mehr Tiere aufgestellt werden, auch Playmobil- und Ü-Eier-Tiere. Außerdem gibt es in der Krippe nicht nur ein Jesuskind, sondern mehrere, die auch zum Teil mit Spielzeug und Windeln versorgt sind, eben wie richtige Babies. Für diese Jesuskinder wird getanzt. In Jorges Familie wird immer zu zweit zunächst auf die Krippe zu und von ihr wieder weg getanzt und danach tanzt jeder der beiden Partner noch mal alleine. Getanzt habe ich natürlich auch. Um halb eins machen wir uns dann auf den Nachhauseweg.

Mir wird schlagartig klar, dass das vielleicht mein einziges Weihnachtsfest in Bolivien sein wird, und so überrede ich Jorge dazu, noch mit mir in die Messe zu gehen. Die Kirche ist wahnsinnig voll und ich sehe das ein oder andere bekannte Gesicht; man wünscht sich ein frohes Fest. Viele der Gottesdienstbesucher haben ein Jesuskind mitgebracht um es segnen zu lassen. Es ist endgültig Weihnachten.

SILVESTER in Sucre. Am 31. Dezember rufe ich panisch Daria an und erkläre ihr, dass ich keine Ahnung habe, wie ich Silvester feiern soll. Alle meine Freiwilligen sind zuhause und damit nicht in der Stadt; Jorge wird zu seinen Eltern fahren. Daria allerdings beruhigt mich und gemeinsam kommt uns die rettende Idee: wir feiern Silvester bei mir zuhause mit Raclette und selbst gemachtem Glühwein und natürlich Dinner For One. Danach gehen wir auf die Plaza, wo eine Banda spielt, es Feuerwerk gibt und es daher wahnsinnig voll ist. Der Tradition gemäß essen wir jeder 12 Weintrauben. Später wird noch weitergefeiert in einer Bar. Wir feiern in das Jahr 2012. Zum ersten Mal in meinem Leben feiere ich Silvester nicht in Deutschland, sondern ganz weit weg. Ein bisschen zuhause fühle ich mich trotzdem.

ZWISCHENSEMINAR in Santa Cruz. Am zweiten Januar 2012 sitze ich – mal wieder mit Übelkeit kämpfend – in einer Flota, diesmal mit dem Reiseziel Kolpinghaus, Santa Cruz, Tiefland. In dieser riesigen Boomstadt Boliviens angekommen müssen wir uns erst mal orientieren und sind erleichtert, als wir endlich ankommen. Im Kolpinghaus dann die große Überraschung: zwei unserer drei Begleiter vom fid-Vorbereitungsseminar in Köln werden uns auch hier in Santa Cruz begleiten. Auch das Wiedersehen mit Selma wird einfach schön. Die drei „Teufelinnen“ wiedervereint. Das Seminar selbst wird dann allerdings eher anstrengend als bereichernd. Zwar bin ich dankbar für die Auszeit aus meinem gewohnten Umfeld und die Möglichkeit, meinen Freiwilligendienst in einem „geschützten Raum“ reflektieren zu können. In der großen Gruppe selbst herrscht jedoch eine große Uneinigkeit, und zum Teil wird die Mitarbeit mit den fid-Arbeitsmethoden von einigen Freiwilligen verweigert. Im Plenum fühle ich mich daher nicht wohl und das Seminar schöpft nicht seine volle Wirkungskraft aus.

„Theater der Unterdrückten“ beim Zwischenseminar in Santa Cruz

ZURÜCK in Sucre. Seit kurzem bin ich also wieder zurück in meiner Stadt. Meiner – im Vergleich zu Santa Cruz – beschaulichen und weniger heißen Stadt Sucre. Es ist Sommer, die Luft ist vom vielen Regen klar und frisch, die Sonne scheint und es ist Pfirsichzeit. Bevor Gaby gefahren ist hat sie gesagt: „Ich würde diese Zeit nicht jedes Jahr verpassen wollen“. Da kann ich nur zustimmen.