14. September 2011

Erstes Update aus Sucre

Seit einem Monat bin ich nun schon in Sucre und ich weiß, dass viele auf Nachricht von mir warten. Deshalb will ich versuchen euch jetzt noch mal ein bisschen genauer von meinen Erlebnissen zu berichten.

Für mich ist Sucre eine Stadt, an der ich mich kaum sattsehen kann: die eindrucksvoll strahlenden weißen Gebäude, die vielen kleinen Essensstände, die Palmen, die so unterschiedlich gekleideten Menschen (wenige in traditionell bunter und viele in „westlicher“ Kleidung), die rasant fahrenden Micros, die unverputzten roten Häuser und die beiden Hügel Sica Sica und Churuquella, die sich grün über die Stadt erheben. Doch Zeit zum Vertrödeln hatten wir keine, denn schon am ersten Tag begann unser Sprachkurs im ICBA (Instituto Cultural Boliviano Alemán), wo wir auch untergebracht waren.

Es waren unbeschwerte drei Wochen die wir mit unseren Lehrerinnen verbrachten, öfters gingen wir zusammen raus in die Stadt oder kochten gemeinsam in der Küche des ICBAs. Neben dem Unterricht wurde unser Tagesrhythmus durch das Tanztraining der Diablada mit den Masis festgelegt. Jeden Morgen um halb sieben und jeden Abend um acht Uhr tanzten wir für eine Stunde im Parque Bolivar. Die Diablada ist, neben der Morenada, dem Tinkuy und vielen weiteren Tänzen, einer der „Volkstänze“, die hier zu Ehren der Schutzpatronin der Stadt, der Jungfrau von Guadalupe, in einem großen Festumzug dargeboten werden. Diese sogenannte Entrada fand am vergangenen Samstag statt. Fast zwölf Stunden lang waren wir in den Straßen unterwegs. Anders als am vorigen Samstag, als wir zur „Generalprobe“, dem Convite, tanzten, war das Tanzen diesmal bedeutend beschwerlicher.


Statt bequemer Jeans und Sweatshirt trugen wir diesmal Maske mit Perücke, ein kurzes Glitzerkleidchen mit Brustpanzer und Gürtel darüber, und hohe Absatzstiefel. Ich fühlte mich hör-, seh-, und bewegungseingeschränkt. Und als wir uns dann um Mitternacht herum der Plaza näherten, waren die meisten Zuschauer sturzbesoffen. Statt zu tanzen gingen wir in Viererreihen durch die erdrückenden Menschenmengen, jeweils außen zwei Männer und innen zwei Frauen. Völlig ausgepowert von diesem Erlebnis fiel ich am Samstagabend ins Bett, wohlwissend, dass ich am nächsten Morgen früh auf der Plaza nochmals tanzen würde. Doch entgegen meinen Befürchtungen war dieses Tanzen ein Glücklichmacher. In der prallen Mittagssonne und ohne Maske und Perücke (dafür mit neuerlich gebrochenem Absatz) zeigten wir vor dem versammelten Publikum unser Können. Welch eine Befreiung nach der Frustration vom Samstag! Anschließend gab es eine Fiesta im Hof des Centros der Masis mit Mittagessen, Musik unserer Banda und viel Bier. Am Nachmittag folgte dann die Taufe der Neuen. In einer Zeremonie, die unter anderem darin bestand, mit meinem Paten vor allen zu tanzen, eine Hand voll Mehl auf den Kopf zu bekommen und einen Becher mit Bier und Würstchen zu trinken, legte ich das Versprechen ab, mindestens drei Mal in meinem Leben für die Virgen de Guadalupe zu tanzen.


Abseits dieser ganzen kulturellen Aktivitäten mit den Masis hatte natürlich auch schon seit zwei Wochen die Arbeit in meinem Projekt, dem Ecomuseo des ICBAs, begonnen. Kurz nach meiner Ankunft in Sucre fand das vierte Ökologietreffen des ICBAs statt, das eine Reihe von Aktivitäten umfasste, denen ich nun nicht als Organisatorin, sondern viel mehr als Zuschauerin beiwohnte. So besuchte ich zunächst eine Vorstellung des Ecoteatros „Die fünf Wassertropfen“ (einem Schwarzlichttheater, das von den Freiwilligen des Museums aufgeführt wurde), besichtigte das Museum, nahm an einer Protestkarawane auf dem Fahrrad teil und versuchte, so gut es ging, die Freiwilligen bei der Ausführung der ECOCHASQUI, einer Art Rallye mit verschiedenen Fragestationen, zu unterstützen. In der dritten Woche schließlich, als ich nur noch nachmittags Sprachunterricht hatte, begann ich langsam vormittags regelmäßig im Ecomuseo präsent zu sein. Nach anfänglichen Kommunikationsschwierigkeiten mit meinem Kollegen und Ansprechpartner José Luis, begannen wir bald als Team zu arbeiten. So räumten wir nicht nur das Museum um, langsam wurde ich auch an Führungen für Klassen und Gruppen herangeführt, und obwohl ich immer noch Unsicherheiten bezüglich des ganzen Ökovokabulars habe, fühle ich mich doch mit meiner Arbeit im Museum sehr wohl.


Außerhalb des Tanzens und der Arbeit gibt es noch einen dritten Faktor, der mir die Eingewöhnung in Sucre bisher sehr erleichtert hat: Seit eineinhalb Wochen wohne ich nun schon bei einer Familie im Barrio San José. Meine deutsch-bolivianische Familie (Gabi ist Deutsche, während Jorge Bolivianer ist, Nico wächst bilingual auf) hat mir von Anfang an das Gefühl gegeben zu Hause zu sein und hat mich großzügig als Familienmitglied akzeptiert.

Ich denke, kurz zusammengefasst ist das wohl alles Wichtige, was bisher hier und mit mir passiert ist, auch wenn mein Leben natürlich aus noch so viel mehr besteht als nur aus dem hier Beschriebenen: so viele kleine Glücksmomente und Frustrationen, neue Bekanntschaften und neue Erkenntnisse und Träume bleiben unerwähnt.