19. Januar 2012

5 Monate Bolivien - mein dritter Bericht

Auf dem Zwischenseminar trifft es mich wie ein Schlag, als eine unserer Begleiterinnen sagt „Jetzt ist Halbzeit“. Nein, das kann doch noch nicht sein! Ich möchte noch so viel sehen, hören, schmecken, kennenlernen, vertiefen. Mein Kindergartenprojekt weiterführen. Mit meinen Freiwilligen arbeiten. Das Museum verschönern. Einfach hier sein. Wie soll das in sechs Monate passen? Zum Glück kommt bald die rettende Erkenntnis: für uns Bolivien-Brücke-Freiwillige sind es noch siebeneinhalb Monate. Das ist natürlich was anderes.

Workshop Monteagudo

Aber fangen wir von vorne an. Die Zeit, die seit meinem letzten Bericht vergangen ist, beginnt in einer schaukelnden Flota (Bus) auf dem Weg in das wunderschön grüne und beschauliche Städtchen Monteagudo, benannt nach dem großen Monteagudo selbst. In der Flota befinden sich unter anderem Raúl Navarro, José Luis Macias und ich. In Monteagudo geben wir einen Workshop zum Thema „Der richtige Umgang mit Müll“. Von den angekündigten zwanzig Teilnehmern ist nur die Hälfte anwesend, macht aber nichts, wir arbeiten mit denen, die interessiert sind. Der Workshop kommt gut an, und wir haben noch ein bisschen Zeit, uns in der Stadt herumzutreiben. Es tut gut, noch mal aus Sucre rauszukommen, merke ich – das frühlinghafte Grün überall und die warme Sonne streicheln meine Seele.

Zurück in Sucre gibt es erstmal ordentlich Gewitter. Ständig. Unglaubliche Mengen Tränen weint der Himmel. Fluten. Danach der Geruch nach wachsenden Pflanzen und Erde. Auch in Sucre ist Frühling und der Sommer naht.

Und mit dem Sommer naht auch die Weihnachtszeit. Das hat einen traurigen Nebeneffekt: Gaby und Nico fliegen für zwei Monate nach Deutschland, um dort Zeit mit Gabys Familie zu verbringen. Nico möchte Schnee sehen. Der Abschied am Flughafen Sucres fällt uns allen schwer und zurück bleiben Jorge, der Kater Tomi und ich.


Viel Zeit zuhause bin ich jedoch zunächst nicht. Die R.O.A.CH. veranstaltet ihr erstes Encuentro ein Wochenende lang in Cajamarca, einem Dorf ungefähr eine Stunde Busfahrt von Sucre entfernt. Ich habe als Sekretärin der Roach viel Schreibarbeit, was mir aber nichts ausmacht. Zusammen spazieren wir zum nahegelegenen Fluss und wieder merke ich, wie viel es mich auch kostet in einer Stadt zu leben. Zuhause in Deutschland war der Nationalpark ganz selbstverständlich da, die Natur als Ausgleich immer zur Verfügung. Hier brauche ich nun diese Oasen, das Verlassen der Stadt.

ADVENT in Sucre. Für meine Freiwilligen bastle ich einen Adventskalender mit kleinen Schokoladen, Tee, Adventsschmuck, Kerzen und Bildern. Das ist für die Freiwilligen etwas ganz Neues, sie finden die Idee aber toll. Gleichzeitig fängt das Freiwilligenteam FASE I an, Produkte für den Weihnachtsmarkt des ICBAs zu erarbeiten. Gemeinsam basteln wir an Karten, Weihnachtskugeln und Sternen, dazu kommen Gläser und CD-Schmuck; alles natürlich recycelt.

Doch bevor dann der Weihnachtsmarkt ansteht verbringt das Freiwilligenteam noch einen wunderbaren Sonntag in Yotala im Schwimmbad und auf dem Fussballplatz. Es ist wahnsinnig befreiend Spaß miteinander zu haben und – mal wieder – aus der Stadt rauszukommen.

Zusammen Spaß haben und Zeit miteinander verbringen in Yotala

Am 15. Dezember dann sehr kurzfristig noch ein sehr schönes Erlebnis: eine kleine Diablada-Weihnachtsfeier. In kleiner Runde schauen wir uns ein paar Videos unserer Entrada an, essen zusammen und danach spielen die Masis und es wird viel getanzt. Ich bin glücklich wie lange nicht mehr.

Von rechts nach links: Moni, Rocio, Randall, José Luis und ich auf dem Weihnachtsmarkt des ICBA

Zu arbeiten gilt es dann zunächst auf dem Weihnachtsmarkt, der eine schöne Gelegenheit bietet, uns als Museum zu präsentieren und Werbung zu machen. Den ganzen Tag alleine am Stand zu sitzen kann jedoch manchmal auch ganz schön langweilig werden und so bin ich dankbar und froh, dass Rocio mir oft Gesellschaft leistet. Unsere Freundschaft entwickelt sich schon bald zu einem wichtigen Anker für mich: sie versucht mir ein bisschen Quechua beizubringen, während ich ihr mit ihrem Deutsch weiterhelfe; wir haben viel Spaß zusammen und nach der Arbeit gehen wir gemeinsam über die strahlend leuchtende Plaza zu unseren Micros.

WEIHNACHTEN in Sucre. Weihnachten beginnt für mich schon einen Tag vorher, am 23. Dezember um genau zu sein. Als es nämlich am 23. Abend wird, steht die Clausura des Weihnachtsmarktes an. Und für diesen festlichen Abschluss kommen die Masis mit den Kindern und machen im Hof Musik und tanzen. Da spüre ich zum allerersten Mal Weihnachten, auch im Sommer. Daria und ich schmettern zusammen ein deutschsprachiges getragenes Weihnachtslied, das in spannungsvollem Kontrast zur heiteren und rhythmischen bolivianischen Weihnachtsmusik steht. Und danach wird noch ein bisschen durch die Straßen getanzt und gespielt.

Die Masis mit den Kindern des Centro Cultural Masis im ICBA

Am nächsten Morgen dann mache ich mich morgens auf den Weg zum größten Theater der Stadt, denn dort werden im Eingangsbereich die Masis nochmal spielen und tanzen. Die Straßen sind überfüllt von Familien vom Land, deren Kinder von einigen großen Firmen mit Spielzeug beschenkt werden. Überall ist Müll, Kinder urinieren in den Straßen und es ist wahnsinnig heiß. Viele der Familien müssen stundenlang anstehen, denn die Schlange geht weit über eine Cuadra (Häuserblock) hinaus.

Später dann mache ich mit klopfendem Herzen nach einem Monat Wartezeit endlich das Weihnachtspaket von meiner Familie aus Deutschland auf und freue mich wahnsinnig über die Teelichter, die wir genauso auch zuhause in Deutschland aufstellen. Beim anschließenden langen Weihnachtstelefonat freue ich mich die Stimmen meiner Familie zu hören und vermisse sie alle das erste Mal schmerzlich.

Doch Zeit um Trübsal zu blasen bleibt mir keine, denn abends geht es zum weihnachtlichen Festschmaus bei Jorges Schwester Wilma. Die knallbunten fiependen Lichterketten begeistern mich wenig, dafür aber die Krippe und die Ehrfurcht, mit der für das Jesuskind getanzt wird. Im Grunde ähnelt die Krippe natürlich der Krippe, die ich aus Deutschland kenne, allerdings mit dem Unterschied, dass noch viel mehr Tiere aufgestellt werden, auch Playmobil- und Ü-Eier-Tiere. Außerdem gibt es in der Krippe nicht nur ein Jesuskind, sondern mehrere, die auch zum Teil mit Spielzeug und Windeln versorgt sind, eben wie richtige Babies. Für diese Jesuskinder wird getanzt. In Jorges Familie wird immer zu zweit zunächst auf die Krippe zu und von ihr wieder weg getanzt und danach tanzt jeder der beiden Partner noch mal alleine. Getanzt habe ich natürlich auch. Um halb eins machen wir uns dann auf den Nachhauseweg.

Mir wird schlagartig klar, dass das vielleicht mein einziges Weihnachtsfest in Bolivien sein wird, und so überrede ich Jorge dazu, noch mit mir in die Messe zu gehen. Die Kirche ist wahnsinnig voll und ich sehe das ein oder andere bekannte Gesicht; man wünscht sich ein frohes Fest. Viele der Gottesdienstbesucher haben ein Jesuskind mitgebracht um es segnen zu lassen. Es ist endgültig Weihnachten.

SILVESTER in Sucre. Am 31. Dezember rufe ich panisch Daria an und erkläre ihr, dass ich keine Ahnung habe, wie ich Silvester feiern soll. Alle meine Freiwilligen sind zuhause und damit nicht in der Stadt; Jorge wird zu seinen Eltern fahren. Daria allerdings beruhigt mich und gemeinsam kommt uns die rettende Idee: wir feiern Silvester bei mir zuhause mit Raclette und selbst gemachtem Glühwein und natürlich Dinner For One. Danach gehen wir auf die Plaza, wo eine Banda spielt, es Feuerwerk gibt und es daher wahnsinnig voll ist. Der Tradition gemäß essen wir jeder 12 Weintrauben. Später wird noch weitergefeiert in einer Bar. Wir feiern in das Jahr 2012. Zum ersten Mal in meinem Leben feiere ich Silvester nicht in Deutschland, sondern ganz weit weg. Ein bisschen zuhause fühle ich mich trotzdem.

ZWISCHENSEMINAR in Santa Cruz. Am zweiten Januar 2012 sitze ich – mal wieder mit Übelkeit kämpfend – in einer Flota, diesmal mit dem Reiseziel Kolpinghaus, Santa Cruz, Tiefland. In dieser riesigen Boomstadt Boliviens angekommen müssen wir uns erst mal orientieren und sind erleichtert, als wir endlich ankommen. Im Kolpinghaus dann die große Überraschung: zwei unserer drei Begleiter vom fid-Vorbereitungsseminar in Köln werden uns auch hier in Santa Cruz begleiten. Auch das Wiedersehen mit Selma wird einfach schön. Die drei „Teufelinnen“ wiedervereint. Das Seminar selbst wird dann allerdings eher anstrengend als bereichernd. Zwar bin ich dankbar für die Auszeit aus meinem gewohnten Umfeld und die Möglichkeit, meinen Freiwilligendienst in einem „geschützten Raum“ reflektieren zu können. In der großen Gruppe selbst herrscht jedoch eine große Uneinigkeit, und zum Teil wird die Mitarbeit mit den fid-Arbeitsmethoden von einigen Freiwilligen verweigert. Im Plenum fühle ich mich daher nicht wohl und das Seminar schöpft nicht seine volle Wirkungskraft aus.

„Theater der Unterdrückten“ beim Zwischenseminar in Santa Cruz

ZURÜCK in Sucre. Seit kurzem bin ich also wieder zurück in meiner Stadt. Meiner – im Vergleich zu Santa Cruz – beschaulichen und weniger heißen Stadt Sucre. Es ist Sommer, die Luft ist vom vielen Regen klar und frisch, die Sonne scheint und es ist Pfirsichzeit. Bevor Gaby gefahren ist hat sie gesagt: „Ich würde diese Zeit nicht jedes Jahr verpassen wollen“. Da kann ich nur zustimmen.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Liebe Magdalena,

ich bin gerade dabei, meine Bewerbung für den Freiwilligen-Dienst im Eco-Museo zu schreiben und habe mit Begeisterung deinen Blog gelesen, den ich durch die Bolivien-Brücken-Seite entdeckt habe. Er bestärkt mich noch mehr da drin, dass ich unbedingt in deine Fußstapfen treten will :-) Ich wünsche dir weiterhin spannene Erlebnisse, Liebe Grüße, Anna Mamar

Vera hat gesagt…

Huhu Meggie!
Ich finde Deinen Blog wirklich schön geschrieben! Ich kann so richtig mitverfolgen, wie es Dir geht und was Du so machst! :-)
Vor allem finde ich schön, dass Du viel Positives erlebst und wenn nicht, Du dann trotzdem positive Dinge und Lehren aus allem ziehen kannst! Du kannst so stolz auf das sein, was Du leistest! Ich bin es jedenfalls!
Ich freue mich auf die nächsten Neuigkeiten!
Fühl Dich gedrückt! LG
Vera

Kommentar veröffentlichen