9. November 2011

Hier ein neuer Bericht (nach zweieinhalb Monaten)

Liebe Freunde und Familie, liebe Bekannte und lieber Spenderkreis,

seit meinem ersten Bericht ist nun schon mehr als ein Monat vergangen und es hat sich in dieser Zeit einiges getan: bei mir und bei meinem Projekt.

Wie bereits im vorigen Bericht angedeutet, haben wir das Museum ziemlich auf den Kopf gestellt und neu sortiert. Der Schwerpunkt bei Besuchen liegt nun vor allem auf der Vermittlung des richtigen Umgangs mit Glas, Plastik und Papier. Wie können wir diese Wertstoffe reduzieren, wiederverwenden oder recyceln? Die Antwort darauf geben wir im Ökomuseum. Nachdem ich anfangs nur die Begrüßung der jeweiligen Gruppe sowie die Vorstellung des Projektes „Ecomuseo“ übernommen hatte, wurde ich bald von José Luis auch für die Übernahme bestimmter Erklärungen während des Besuches eingespannt. Damit fühlte ich mich bei den ersten beiden Malen äußerst unwohl, so ungewohnt war es, in einer fremden Sprache und vor 30 Paar Schüleraugen zu erklären, dass Papier in den blauen Behälter gehört, wie der Prozess des Recycelns funktioniert und welche Kunstwerke man aus recyceltem Papier machen kann. Mittlerweile kommen mir die Worte schon viel leichter über die Lippen und es macht mir sogar Spaß, das zu zeigen, was wir in unserem Museum zu bieten haben.

Ein weiterer wichtiger Teil meiner Arbeit im Projekt besteht in der Mit-Koordination der Freiwilligengruppe des Museums. Jeder der bolivianischen Freiwilligen hat unter der Woche einen Tag, an dem er entweder vormittags oder nachmittags für drei Stunden im Museum präsent ist und José Luis und mich unterstützt – ob nun bei Führungen, beim Anstreichen von Wänden, beim Recyceln von Karton oder beim Verfassen von Texten. Zu tun ist eigentlich immer etwas. Die Arbeit mit den Freiwilligen macht mir besonders viel Spaß, weil es gut tut, Zeit mit Gleichaltrigen zu verbringen und gemeinsam zu lachen und zu arbeiten. Allerdings ist dieser Teil der Arbeit auch oft anstrengend, weil einige der Freiwilligen manchmal einfach nicht kommen oder im letzten Moment bei mir anrufen und absagen. Da ist es schwer, längerfristig und mit Sicherheit Dinge wie zum Beispiel die Probe des Ökotheaters zu planen. Mit allen Freiwilligen habe ich jeden Samstag ein Treffen, bei dem ich zunächst eine Stunde Deutschunterricht an Interessierte erteile und bei dem danach zukünftige Aktivitäten geplant werden und einfach Zeit zusammen verbracht wird.

Weiterhin betreue ich auch ein Projekt, das sich „ECO-Chiquis“ nennt. Dreimal in der Woche bin ich nachmittags für eineinhalb Stunden im staatlichen Kindergarten Saul Mendoza, wo ich jeweils mit einem Kurs „Umwelterziehung“ mache. Teil dieses Programmes ist zunächst ein Besuch der Kinder des Kurses im Ökomuseum und danach z.B. das Recyceln von Karton – ebenfalls im Museum. Letzten Montag habe ich dann mit einem Kurs Karten aus dem recycelten Karton gebastelt. Außerhalb dieser Aktivitäten habe ich versucht, „ökologische Spiele“ mit den Kindern durchzuführen. Das gestaltet sich jedoch schwierig, da hier der Kindergarten ganz anders ist als in Deutschland. Die Kinder hier haben einen Stundenplan und zwei Pausen à 20 Minuten. Während der „Unterrichtsstunden“ machen sie Schreibübungen in ihren Heften oder die Lehrerin erklärt ihnen bestimmte Dinge, wie z.B. welche Verkehrsmittel es gibt. Es ist entsprechend wenig verwunderlich, dass die Kinder es nicht gewohnt sind gemeinschaftlich zu spielen. Mit dieser Form des Kindergartens fiel es mir am Anfang schwer umzugehen oder etwas anzufangen, weil mir die Kinder so gestutzt und eingeschränkt vorkamen. Andererseits ist es wunderbar, Zeit mit den Kindern zu verbringen, die mir mit spontaner Zuneigung und Respekt begegnen, und zu merken, dass ich ihnen etwas beizubringen vermag, und deshalb habe ich auch Freude daran weiterhin zu versuchen, mit den Kindern zu spielen und Geschichten vorzulesen.

Im Rahmen meiner Arbeit hatte ich in letzter Zeit noch zwei weitere wichtige Erlebnisse.

Und zwar wurden wir als Freiwilligengruppe in ein Radio zum Interview eingeladen. Die Freiwilligen haben begeistert zugesagt, nur leider ist am entsprechenden Abend nur eine von ihnen aufgetaucht (meine Mitkoordinatorin der Gruppe). Und so saß ich schließlich mit José Luis und Alejandra alleine im Radiostudio. Ganze zwei Stunden lang wurden wir mit Fragen von dem Moderator durchlöchert, der sich zeitweise mehr für meine Person als für das Projekt interessierte. Ich war nur froh, dass mein Spanisch mich nicht im Stich gelassen hat und ich nach den zwei Stunden wieder frei atmen konnte.

Das zweite Erlebnis war eine Reise mit fünf der Freiwilligen zu einer Art Fortbildung / Konferenz in Cochabamba. Nachdem wir die ganze Nacht im Bus gereist waren, ging es am Ankunftstag gleich mit dem Programm los. Das zweite pluriversale Treffen, veranstaltet von der Stiftung Gemeinschaft und Handeln, stand unter dem Motto „Konkurrieren oder zusammenleben? Für die soziale und ökologische Gerechtigkeit“. Es war sehr anregend und spannend, auf Leute aus ganz Bolivien zu treffen (fast ganz Bolivien: die Delegationen aus Santa Cruz konnten nicht kommen, da die Straße gesperrt war und es Streik gab) und noch dazu verschiedenen Alters. In meiner Arbeitsgruppe z.B. war der Direktor einer Schule in El Alto, Kinder, eine Studentin und noch mehrere Erwachsene. Bei so einer Vermischung war es klar, dass wir für die einzelnen Arbeitsschritte (die Methodik nannte sich Papiercomputer) etwas länger brauchten. Der letzte Abend wurde dann als „Nacht der Talente“ gemeinsam verbracht, bei dem wir unser Schwarzlichttheater aufführten und andere Teilnehmer Tänze ihrer Region, Sketche oder typische Speisen teilten.

Nach Ende dieses spannenden aber auch anstrengenden Seminars blieben wir noch einen Tag länger in Cochabamba, um ein bisschen etwas von der Stadt zu sehen. Cochabamba kam mir wie eine riesige, platte Metropole vor (Sucre ist sehr hügelig). Überall wimmelte es nur so von Geschäften und Essensständen, und ich war geschockt von den Tätowierern, die ihre Arbeit mitten auf der Straße in kleinen Plastikzelten verrichteten.

Die Fahrt zurück von Cochabamba nach Sucre war dann noch mal ein Erlebnis für sich. Wir hatten leider das Pech, ganz hinten im Bus Platz nehmen zu müssen, wo die gesammelten Gerüche des Busses hinziehen und es am heftigsten auf den unbefestigten Straßen ruckelt. Und dann hatte ein Herr bei mir in der Nähe auch noch Knoblauch dabei. Als wir am nächsten Morgen um halb sieben in Sucre am Terminal ankamen und ich mich nachts übergeben hatte, war ich nur heilfroh, diesen Bus verlassen zu können und erst mal richtig zu schlafen.

Sucre an sich, meine Heimatstadt, kam mir mit einmal noch zehnmal so vertraut und liebenswürdig vor, obwohl es regnete und alle Sucrenser sich über dieses schreckliche Wetter beschwerten.

Aber ich freue mich jedes Mal ungemein, wenn es Regen gibt, denn das heißt dass die Wasserversorgung bei uns im Haus sichergestellt ist. Und Wasserknappheit ist wirklich keine lustige Erfahrung – die habe ich einmal gemacht, als ich von unserer Reise zum Salar de Uyuni wieder zurückgekehrt war.

Drei Tage lang waren Selma, Daria und ich unterwegs und haben die Salzwüste Uyuni, die andinen Lagunen, Flamengos, den Àrbol de Piedra, die Dalíwüste, Geysire, Vulkane und viele Kleinigkeiten mehr gesehen. Für mich war es eine beeindruckende Erfahrung, diese wunderschöne, menschenfeindliche Landschaft kennenzulernen und kurzzeitig auch etwas Abstand zum Alltag meines Projektes zu gewinnen und Dinge noch mal mit mehr Ruhe zu überdenken.

Und wenn es nach einer solch aufrüttelnden und spannenden Reise kein Wasser gibt, insbesondere nachdem man in Potosí um zwei Uhr nachts in Eiseskälte eine Stunde lang auf den Anschlussbus nach Sucre warten musste, dann lässt einen auch jetzt noch das Geräusch des Regens, der schwer gegen das Fenster platscht, jubeln.

An dieser Stelle muss ich auch noch mal erwähnen, wie dankbar ich dafür bin eine Gastfamilie zu haben, die mich liebevoll aufgenommen hat. Dank dieser Familie habe ich einen sicheren Rückzugsort, wenn ich mich manchmal überfordert oder hilflos fühle.

Wie ihr aus meinen Erzählungen sicherlich schließen könnt, geht es mir sehr gut, und ihr müsst euch nicht um meine Gesundheit oder mein Wohlbefinden sorgen. Stattdessen möchte ich euch nochmal dafür danken, dass ihr mir dieses Jahr hier in Bolivien auf unterschiedlichste Weise ermöglicht habt, wo ich so viele Erfahrungen und Geschichten sammeln kann und eine Arbeit habe, die mir Spaß macht.

Viele liebe Grüße an euch alle und ich würde mich über Antwortpost sehr freuen!